Behandlung von Essstörungen

Behandlung von Essstörungen

Mittwoch, 29. April 2015

Restriktives Essen und Diätverhalten als Problem





Essgestörte erleben ihr Diätverhalten meistens nicht als Problem, sie identifizieren sich mit ihm. Sie fühlen sich wohl, wenn sie es durch Kontrolle schaffen, ihre Diät zu halten. Sie erleben es als Stärke, Disziplin und Willenskraft. Schaffen sie es nicht, ihre Diät zu halten, fühlen sie sich schwach. Durch Diätverhalten sind sie in der Lage, langfristig ihr Gewicht zu steuern. Letztendlich ist es ihnen aber weniger bewusst, dass ihr Diätverhalten sowohl subjektive als auch objektive Essanfälle auslösen kann. Bei den Übergewichtigen wird das Diätverhalten als angemessen betrachtet, obwohl eine Diät oft die Essproblematik erschwert und stark beeinträchtigt. Diätverhalten kann ungünstige Auswirkungen haben und spielt eine große Rolle bei der Aufrechterhaltung der Essstörung. Die erste Aufgabe des Therapeuten besteht darin, mit der Klientin zu erarbeiten, dass ihr Diätverhalten in der Tat ein Problem darstellt.
Wozu führt Diätverhalten?

1)    Es führt zur kognitiven Einengung: Die Fokussierung auf Nahrungsmittel, Gewicht und Figur lassen wenig Raum für viele andere alltägliche Lebens­aspekte. Betroffene mit einer sehr schwer ausgeprägten Essstörung, können sich nur schwer konzentrieren. Alle Gedanken drehen sich um Essen, Gewicht und Figur. Die Essstörung wird zu ihrem Lebensinhalt, so dass sie im Alltag Konzentrationsschwächen beispielsweise beim Lernen, Lesen und Folgen von Gesprächen zeigen.

2)    Diätverhalten ist Angst auslösend: Bei der Nichteinhaltung der eigenen Regeln werden Betroffene unruhig, ängstlich und erleben sich als Versager. Die Nichteinhaltung geht mit Schuldgefühlen und Reue einher. Unter Nicht­einhaltung der eigenen Regel versteht man einen Verstoß gegen die von der Essstörung vorgegebenen Verhaltensweise. Diese bestimmt normalerweise, was, wie viel, wie und wann Betroffene essen müssen. Schaffen sie es nicht, sich an ihre eigene Regel zu halten, fühlen sie sich als Versager, was wiederum subjektive oder objektive Essanfälle auslösen kann.

 
Hier auch ist es die Aufgabe des Therapeuten zu informieren und den Betroffenen darauf aufmerksam zu machen, dass gezügeltes Essen ein Problem darstellt, unabhängig davon, ob die Einhaltung der Regel erfolgreich ist oder nicht.

3)    Diätverhalten kann langfristig zu niedrigem Gewicht und Mangel­erschei­nungen führen. Wenn ein Mensch zu wenig isst, kann dies Konsequenzen auf das Gewicht und das psychische Befinden haben. „Physiologischer Hunger“ tritt in der Regel auf, wenn man nicht oder zu wenig isst. Psychische Mechanismen spielen ebenfalls eine große Rolle, wenn man sich etwas verbietet. Je stärker eine Speise verboten ist, desto größer wird das Verlangen danach. Dr. Doris Wolf, psychologische Psychotherapeutin, spricht in ihren Patientenberichten von Nachholungsbedarf, dies betrifft besonders Über­gewichtige. Wenn sie sich immer verbieten was sie gerne essen möchten, wächst ihre Unzufriedenheit und Wahrscheinlichkeit von Essanfällen und übertriebenem Verzehr der verbotenen Nahrung. Folglich ist es wichtig, dass Essgestörte lernen, in ihrem Essplan „verbotene“ Nahrung zu integrieren.

4)    Physiologische Mechanismen (Hunger) und kognitive Mechanismen (psychisch bedingt) können zur Entwicklung von Essanfällen beitragen. Selbst kleinere Regelabweichungen werden als kompletter Verlust der Steuerungs­fähigkeit über die Ernährung gesehen. Betroffene reagieren darauf, indem sie ihr gezügeltes Essverhalten aufgeben. Das unkontrollierte Essverhalten, also der subjektive und objektive Essanfall, der sich aus dem Verstoßung der Regeln ergibt, wird am selben Tag durch kompensatorische Mittel wie Erbrechen, Sport und Abführmittelmissbrauch oder schon am nächsten Tag durch ein erneutes Diätverhalten abgelöst.

 
Psychoedukation über gezügeltes Essverhalten unterstützt Betroffene, ihr restriktives Essverhalten zu identifizieren und zu korrigieren.

Restriktives Essverhalten stellt ein Problem dar, wenn es unflexibel und extrem ist. Betroffene wollen ihre Ernährungsregeln exakt einhalten. Nur dann haben sie den Eindruck ihr Essverhalten zu kontrollieren. Extremes restriktives Verhalten führt immer zu negativen Konsequenzen, unabhängig , ob die Einhaltung der Regel erfolgreich ist oder nicht:

-  Bei Erfolg ergeben sich ungünstige Auswirkungen auf die Gesundheit und soziales Leben des Betroffenen.

- Bei Misserfolg fühlt sich der Betroffene als Versager, das Risiko für Essanfälle steigt.

Das gesamte Spektrum der Essstörungen ist von einer ausgeprägten Dichotomie im Denken (schwarz-weiß Sehen) dominiert. Das Scheitern bei der Einhaltung einer Regel wird als allgemeines Versagen empfunden. Dies wird auf viele Lebensaspekte übertragen und führt zu dem Denkfehler: „Wenn ich nicht stark bin, bin ich schwach“, „wenn ich mehr als das vorher Geplante esse, werde ich dick“. Darüber hinaus können Betroffene mit der Unvorher­sehbarkeit nicht richtig umgehen. Alles muss laufen, wie geplant. Ansonsten ist es wahrscheinlich, dass Essanfälle oder Fasten als Bestrafung gesehen werden.
Die Einführung in das regelmäßige Essen und die Arbeit an angst­besetzten Lebensmitteln stellen eine hilfreiche Methode dar, um Ess­störungen zu überwinden und ein befreiendes Leben zu starten.