Behandlung von Essstörungen

Behandlung von Essstörungen

Donnerstag, 31. März 2016

Essstörungen im Kinder und Jugendalter

(In abgekürzter Form: Multimodales Behandlungskonzept, aus meiner wissenschaftlichen Arbeit entnommen. ) 

Einleitung

Mit unserer Nahrung verbinden wir nicht nur eine lebensbedingte Priorität, sondern auch Genuss und im „Essen gehen“ eine gesell­schaftliche Funktion. Wir erfahren als Kinder, dass Nahrung Sicherheit und Überleben bedeuten. Im Laufe der Zeit erkennen wir den Geschmack verschiedener Speisen und verknüpfen diesen mit bestimmten Erlebnissen in unserem Leben. Das beschrieb bereits Marcel Proust in seinem Werk Auf der Suche nach der verlorenen Zeit: „In der Kindheit schmeckte Tee anders als im Erwachsenenalter.“ (Proust 1979). Die eindrück­lichen Sinnerfahrungen gehen im Erwachsenenalter verloren und jeder hat die Erfahrung gemacht, dass als Kind vieles besser und intensiver schmeckte als heute.

Essen kann aber auch dazu dienen, einen seelischen Hunger zu stillen und so bei großen seelischen Problemen durch übermäßige Nahrungsaufnahme selber problematisch werden. Der Übergang vom Problem zu Erkrankung ist hierbei fließend. Einige Studien zeigen Zusammenhänge zwischen frühen Fütterungs­störungen und Essstörungen im Jugendalter auf (Uher & Rutter 2012; Zeeck 2011). Entsprechend werden im „Diagnostischen und Statistischen Leitfaden Psychischer Störungen“ (DSM-V) Fütterungs- und Essstörungen unter einer Über­schrift zusammengefasst. Essstörungen werden weltweit beobachtet, allerdings sind sie in den westlichen Industrieländern am weitesten verbreitet. Hierbei sind Mädchen bzw. Frauen häufiger betroffen als Männer. Im Jahr 2014 wurden in deutschen Krankenhäusern ins­gesamt 2486 Fälle von Bulimie neu diagnostiziert. Die epidemiologischen Daten belegen zudem, dass soziokulturelle Faktoren das Krankheitsrisiko beeinflussen. Hierzu zählen das Schönheitsideal, der Einfluss der Medien sowie der Bildungsstand und der sozioökonomische Status, das soziale Umfeld mit Eltern, Peers oder psychosozialem Stress. 


3.     Wenn das Essen zum Problem wird und einen seelischen Hunger stillt
3.1   Essen und Essstörungen im Jugendalter 

In der KIGGs-Studie des Robert-Koch-Instituts zeigte sich mit Hilfe eines Kurz­fragenbogens (SCOFF) im Rahmen der letzten bundesweiten Kinder- und Jugend­gesundheitsstudie, dass mehr als jeder fünfte Jugendliche zwischen 11 und 17 Jahren (21,9%) zumindest als Verdachtsfall einer Essstörung eingeordnet wurde, wobei Mädchen fast doppelt so häufig betroffen waren (RKI). Der Grund dass Mädchen unter stärkerem Druck stehen, ist es, einem Schönheitsideal zu genügen (Jost, 2013). Nach dem oben genannten psycho­sozialen Modell haben Ess­störungen unterschiedliche Ursachen: genetische Prä­disposition, psycho­logische Faktoren wie Mangel an Selbstwert­gefühl, Ängste, psychische Konflikte und soziale Faktoren, wie vorherrschendes Schönheitsideal, Probleme und Konflikte in der Umwelt der Betroffenen.

Beginnt die Essstörung in der frühen Kindheit, sind zwei Fragen von Bedeutung: wie werden die Essgewohnheiten in der Familie vorgelebt und wie wird das Kind unterstützt, eine gesunde körperliche Selbstregulation zu entwickeln. Ange­nommen ein kleines Kind verspürt das Bedürfnis nach Ruhe bei Überreizung oder ein Bedürfnis nach Stimulation bei Langweile. Es sendet ein Signal aus und schreit. Wenn die Eltern nun systematisch ein anderes Bedürfnis wahrnehmen und hierauf mit Füttern reagieren, dann wird das Kind bezüglich seiner Körper­wahrnehmung verwirrt. Irgendwann wird es selber glauben, Hunger zu haben und lernt nicht, seine realen Bedürfnisse und Gefühle wahrzunehmen. Die Fähigkeit der Eltern, die Signale ihrer Kinder richtig zu deuten und das Kind beim Erwerb seiner Autoregulation zu unterstützen, kann einen wichtigen Beitrag leisten, Essstörungen zu verhindern. Häufig entwickeln sich Essstörungen auch in einem Elternhaus, in dem hinter der Fassade einer intakten Familie Spannungen zwischen den Angehörigen herrschen. Die Essstörung ist für viele eine selbst ausgesuchte Strategie, um ein Problem zu lösen, welches nicht anders bewältigt werden kann. Aus diesem Grund ist es von großer Bedeutung, dass Sozial­arbeiter, Lehrer und Erzieher die ersten Anzeichen einer Essstörung wahrnehmen und bei entsprechendem Vertrauensverhältnis die Jugendlichen und ihre Eltern gezielt ansprechen. Hierbei geht es nicht darum eine Diagnose zu stellen, sondern Brücken zu bauen und an Beratungsstellen, Ärzte und Psycho­therapeuten zu vermitteln. 

                                                                                                       (Daniela Sció 2016/03/29 )

Literaturverzeichnis:

Antonovsky, A. (1997). Salutogenese: Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen: Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie.
AWMF online S3 Leitlinie Diagnostik und Therapie der Essstörung. Abgerufen am 10.03.2016 von http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/051-026k_S3_Diagnostik_Therapie_Essstoerungen_2011-abgelaufen.pdf
Berger, U. (2008). Essstörungen wirkungsvoll vorbeugen. Stuttgart: Kohlhammer.
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) (2013). Essstörungen vorbeugen. Informationen und Übungen für die Gruppenarbeit. Köln: BzgA.
Dehmel, S. (2008). Klinische Soziale Arbeit als professionelle Unterstützung. In: K. Ortmann & D. Röh (Hrsg), Klinische Sozialarbeit. Konzepte-Praxis- Perspektiven. (S. 17-33). Freiburg: Lambertus.
Dorner, T.E., Rieder, A. (2010). Thema 7: Einführung in die Soziogenese und Prävention von Krankheiten. 7.1. Konzept der Soziogenese. In: K.J. Wittmann & R. Schoberger (Hrsg): Der Mensch in Umwelt, Familie und Gesellschaft. Ein Lehr- und Arbeitsbuch für den ersten Studienabschnitt Medizin (S. 177-179). Wien: facultas.
Dr. Fehrs, H. (2011). Essstörungen-Anorexie, Bulimie, Binge Eating Co. Informative Veranstaltung. Hamburg: Asklepios Westklinikum.
Enning, F. (1999). Essstörungen. Vortrag gehalten in der Klinik für Psychosomatik und psychotherapeutische Medizin, Mannheim.
Jost, A. (2013) Gesundheit und Sozialarbeit (S. 72-77). Stuttgart: Kohlhammer.
Kienle, R., Knoll, N., Renneberg, B. (2006). Soziale Ressourcen und Gesundheit: Soziale Unterstützung und dyadisches Coping. In B. Renneberg & P. Hammel­stein (Hrsg), Gesundheitspsychologie (S. 107-122). Heidelberg: Springer.
Kirchweger, S. (2010). Klinische Soziale Arbeit mit Kindern und Jugendlichen - eine besondere Herausforderung im psychiatrischen Alltag. In S. B. Gahleitner & G. Hahn (Hrsg). Klinische Soziale Arbeit. Gefährdete Kindheit-Risiko, Resilienz und Hilfen (S. 271-278). Bonn: Psychiatrie-Verlag.
Limbacher, K.G. (2007). Aktuelle Verhaltenstherapie. Anorexia nervosa und Bulimia nervosa. (Heft 16). Bad Dürkheim: Psychosomatische Fachklinik Bad Dürkheim.
Ningel, R. (2011). Methoden der Klinischen Sozialarbeit. Bern: Haupt UTB
Pauls, H. (2011). Klinische Sozialarbeit. Grundlagen und Methoden psycho-sozialer Behandlung. Weinheim: Juventa.
Proust, M. (1979) Auf der Suche nach der verlorenen Zeit; (Bd. 1, S. 63–67). Frankfurt am Main.
Pudel, V. , Müller, M.J. (2012) Leitfaden der Ernährungsmedizin. Berlin: Spriger.
Robert Koch Institut KiGGS Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland Berlin. Abgerufen am 21.03.2016 von http://www.kiggs-studie.de/ergebnisse.html
Thiersch H. (2014). Lebensweltorientierung. In H. U. Otto  & H.Thiersch (Hrsg). Handbuch Soziale Arbeit 5. Auflage (S.854), München: Reinhardt Ernst
Thompson-Brenner, H.; Westen, D. (2005). A naturalistic study of psychotherapy for bulimia nervosa, part 1: comorbidity and therapeutic outcome. The Journal of nervous and mental disease, 193, 573-584.
Uher, R., Rutter, M. (2012). Classification of feeding and eating disorders: review of evidence and proposals for ICD-11. World Psychiatry: Official Journal of The World Psychiatric Association (WPA), 11 (2), S. 80-92.
World Health Organization (1993). Internationale Klassifikation psychischer Störungen ICD 10 der WHO. Deutsche Bearbeitung von H. Dilling, W. Mombour & M.H. Schmidt. Bern: Hans Huber
Wunderer E. (2015). Praxishandbuch Soziale Arbeit mit Menschen mit Ess­störungen, Weinheim und Basel, Beltz Juventa
Zeeck A., Schlegel S. (2013) Sportprogramme und Sporttherapeutische Inter­ventionen bei Essstörungen. Eine Übersicht. Psychotherapie im Dialog, 14 (4), 62-65.
  





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen