Samstag, 9. März 2019
"Falsches" Selbst und Essstörung als Selbstmedikation
Der Aufbau eines „falschen“ Selbst erfolgt
in der Regel unbewusst. Ein Kleinkind erhält durch die Erziehung von den
Bezugspersonen gut gemeinte Lebensregeln, die dem Kind später helfen sollen,
ein gutes Leben zu führen. In der Erziehung machen wir die vermittelten Lebensregeln
zu unseren Eigenen und erfahren erst später, dass wir für die Entwicklung eines
gesunden Selbstwertgefühls einen anderen Input gebraucht hätten. Später stellen
wir vieles in Frage, wenn wir merken mit uns selbst unzufrieden zu sein.
Wir dürfen aber auch Folgendes nicht unbeachtet
lassen: Unsere Bezugspersonen waren/sind auch nur Menschen und haben es
eigentlich gut mit uns gemeint. Was passiert, wenn sie durch Überforderung oder
Unterforderung dazu beitragen, ein „falsches“ Selbst in uns aufzubauen? Insbesondere
wenn wir die Erfahrung machen, dass wir - aus welchem Grund auch immer - nicht
genug Wert besitzen oder sogar wertlos sind, werden wir unser „wahres“ Selbst
aufgeben. Das „falsche“ Selbst entsteht durch die Einflüsse unserer Umwelt („Was
wir sein möchten, um besser zu sein.“).
Das wahre „Selbst“ sind wir mit all
unseren guten Eigenschaften und Fehlern. Ein Kleinkind sucht ganz natürlich
Liebe, Geborgenheit und Halt durch Bezugspersonen. Wenn diese ihm aber das
Gefühl geben bestimmten Ansprüchen nicht zu genügen, steht es vor einer grundlegenden
Entscheidung: entweder wird es sich an die Wünsche der Eltern anpassen und aus
Angst ihre Liebe zu verlieren seine eigenen Bedürfnisse zurücksetzen und damit
sein wahres Selbst aufopfern, oder es macht das Gegenteil dessen was die Eltern
von ihm verlangen. Hier nun besteht die Gefahr eines Liebesentzugs, da das Kind
die in es gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Beide Wege können zur
Unzufriedenheit führen.
In dem ersten Fall kann sich das Kind nicht
so akzeptieren wie es eigentlich denkt und fühlt. In dem zweiten Fall steht es
zu sich selbst und verliert dadurch die Liebe der enttäuschten Eltern. Diese
Unzufriedenheit mit dem eigenen Selbst kann durch eine Essstörung bzw. Suchterkrankung
gelindert werden. Die Essstörung als Selbstmedikation dient dazu den
Widerspruch zwischen dem falschen und wahren Selbst aufzuheben. Menschen mit
einer Essstörung und einer Suchterkrankung versuchen durch das Mittel (Essen /nichts
essen, Drogen usw.) den Schmerz dieses Konflikts zu beseitigen.
Das „falsche“ Selbst wird z.B. bei den
Anorektikerinnen als Grundeinstellung erlebt: „Ich muss perfekt sein. Ich muss
mehr und mehr und … um mein ideales (= falsches) Bild aufrechtzuerhalten. Hierbei
stellen essen, nicht essen, fasten, verhungern, erbrechen oder exzessiver Sport
eine wichtige Hilfsfunktion dar. Durch dieses gestörte Verhalten vermeiden die
Betroffenen eine Auseinandersetzung mit dem Widerspruch „falsches, ideales
Selbst“ und „wahres Selbst“.
In der Therapie lernen die Betroffenen
in Kontakt mit ihrem wahren Selbst zu sein, ihre inneren Bedürfnisse
wahrzunehmen bzw. sogar zu erfüllen und die Lebensregel ihrer Bezugspersonen in
Frage zu stellen. Nicht alles was wir in unserer Kindheit gelernt haben war
hilfreich. Einiges benötigen wir weiter, einiges hat uns entfremdet. Wir können
aber zu jeder Zeit wieder den Kontakt zu unserem wahren Selbst herstellen, um unser
Gleichgewicht zu fördern. In der heutigen Gesellschaft nimmt das falsche Selbst
immer mehr Platz. Wir vergessen, dass wir als Menschen einen Wert haben,
unabhängig von unseren Leistungen.
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